Episode 7
Sinn
Episode 7
Sinn
askd: Harald Klüh, human unlimited
Die Idee, dass du als Organisation vom Nehmenden zum Gebenden wirst, ist ein Paradigmenwechsel, der für mich die Welt verändert.
Harald Klüh ist Markenexperte. Er hat als Global Brand Manager die Transformation der Marke GRASS geleitet und sie damit von einem Hersteller zum Trendsetter im Bereich Möbelbewegungstechnik entwickelt. Zuvor war Klüh als geschäftsführender Partner einer Designagentur über zwei Jahrzehnte lang für international führende Marken tätig. Seine Fähigkeit, zukunftsweisende Ideen und provokante Ansätze zu kombinieren, macht ihn bei „human unlimited“ heute zu einem Impulsgeber für die Suche nach dem Sinn.
Der Wille zum Sinn
Um das „Wofür“ zu finden, braucht es zunächst vor allem den Willen sich der Realität zu stellen. Nur so kann der Prozess aus Erkennen, Entdecken, Definieren, Manifestieren und Kommunizieren gelingen.
Sinn oder Glück?
Sinn, denn Glück ist dann die logische Folge.
Revolution oder Evolution?
Revolution. Evolution bedeutet nicht, dass es besser wird. Es heißt nur, es wird anders. Revolution heißt für mich, ich versuche etwas zu verbessern. Und zwar so zu verändern, dass ein Vorteil daraus entsteht. Deswegen, Revolution. Bedingungslos.
Vom Designstudenten über die Arbeit in Designagenturen, hin zur Markenberatung und letztendlich ins Brandmanagement und der Beschäftigung mit Sinn. Wie würdest du diese Reise bis heute beschreiben?
Spannend. In einem Buch über Corporate Identity habe ich mal einen schönen Vergleich gelesen: So wie jemand, der Städteplaner werden will, vorher mindestens mal 20 Jahre Häuser gebaut haben sollte, so sollte jemand, der Marke verantworten will, mal ein paar Marken auf die Welt gebracht haben, betreut und entwickelt haben. Meine Erfahrung hat mir bei dem Schritt hinaus aus der Marken- und Marketingwelt geholfen, die einzelnen Aspekte zusammenzuwerfen, die es braucht, wenn man hinterfragen will, welche Unternehmensstrategien das sinnzentrierte Handeln in den Mittelpunkt stellen können und individuell passend sind.
Welche Phase deiner bisherigen Laufbahn würdest du sagen, hat dich am meisten für das, was du heute tust, geprägt?
Das lässt sich schwer auf eine Phase eingrenzen. Zum Beispiel hat mir die Zeit als Musiker enorm geholfen: Wenn man daran gewöhnt ist, auf der Bühne zu stehen, fällt es einem auch leichter, Präsentationen oder Keynotes zu halten. Im Grunde ist es wie ein Konzert – man bereitet sich vor, möchte dem Publikum etwas geben. Dabei entsteht eine Interaktion und eine neue Stimmung. Du brauchst eine Dramaturgie, das hat schon fast was von einem Theaterstück, mit erstem, zweitem und drittem Akt. Mit jeder Begegnung und jeder Person, mit der ich gearbeitet habe, nehme ich etwas mit. Besonders die letzten Monate waren faszinierend – weil ich feststelle, dass durch die Kombination der beiden Dinge fast schon eine Art Warp-Antrieb entstanden ist.
Welche beiden Dinge meinst du genau?
Einerseits die Marken- und Marketingwelt, die per se etwas Oberflächliches und Profitorientiertes hat. In den letzten 50 Jahren fehlte es hier häufig an echter Ehrlichkeit. Auf der anderen Seite steht das sinnzentrierte Handeln – es ist ehrlich, bedeutungsvoll, relevant, authentisch, menschlich und nachhaltig. Das sind völlig neue Facetten im Vergleich zu dem, was ich viele Jahre gemacht habe. Wenn man also den Fokus um diesen Sinn-Aspekt erweitert, entsteht eine komplett andere und neue Welt
Sinnrevolution
Der Wille etwas zu verbessern steht bei Harald Klüh im Mittelpunkt. In der Transformation von Unternehmen von Nehmenden hin zu Gebenden sieht er das größtmögliche Potenzial – auch für Marken.
„Wenn wir unseren Erfolg daran bemessen, wie glücklich wir sind, ist die Rettung der Welt so gut wie gelungen.“
Vom Profit zum Sinn zum Glück.
Im Verändern der Prioritäten und einer anderen Perspektive auf das Thema „Erfolg“ sieht Harald Klüh die Möglichkeit, die Welt komplett zu verändern.
2021 wurdest du in einer Branchenzeitschrift als „provokant, interessant und innovativ“ beschrieben und du wurdest mit dem Zitat versehen: „Wer nicht manchmal überzeichnet, wird nicht gehört.“ Trifft das heute in deiner Rolle als Purpose-Berater immer noch zu?
Ich würde das heute immer wieder unterschreiben. Die Headline, die provoziert, verkauft sich. Die brave Headline wird überblättert. Kommunikation funktioniert für mich zweifelsfrei über Provokation. In meiner jetzigen Arbeit lebe ich das anders. Hier ist ehrliche Authentizität entscheidend und die sollte nicht zwanghaft provokativ sein. Ich habe viele Branchen sehr konservativ erlebt: Der Wille zur Veränderung ist gering, es braucht aber ständig Innovationen, um im Gespräch zu bleiben. Das ist ein Widerspruch. Ein zweiter entsteht, weil das nachhaltigste Produkt eigentlich eines ist, das man nie auf die Welt bringt.
Warum?
Wenn ich kein Produkt produziere, schädige ich die Umwelt nicht, brauche keine Energie und produziere keinen Abfall. Das ist Nachhaltigkeit. Natürlich werden wir Produkte brauchen, und wir wollen ja auch etwas verkaufen – wir brauchen also eine Aufgabe.
Wir nähern uns der Sinnfrage.
Genau. Sinn bedeutet ja, dass unser Schaffen eine Bedeutung hat – idealerweise für die Gesellschaft. Das schafft Erfüllung. Nachhaltigkeit heißt, wir sollten weniger machen, weniger Ressourcen verbrauchen und weniger Produkte produzieren. Die bestehenden Produkte sollten möglichst lange genutzt werden. Das steht jedoch im Widerspruch zur kapitalistischen Idee des Wachstums.
Und im Widerspruch zur Entwicklung von Innovationen?
Nicht im Widerspruch zu „echten“ Innovationen. Hier geht es eher um Trends. Schauen wir die Modebranche an. Früher gab es zwei Kollektionen pro Jahr – Sommer und Winter. Dann gab es vier. Jetzt sind wir bei täglichen Releases angekommen. Das ist doch absurd.
Wie lässt sich dieser Widerspruch lösen, insbesondere wenn wir nachhaltiger handeln wollen?
Ein Paradigmenwechsel wäre nötig. All das muss sich lösen lassen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden oder den Menschen Wohlstand und Zuversicht zu nehmen. Das ist eine Herausforderung, die ich sehr spannend finde. Und dafür brauchen wir „echte“ Innovationen. Also nicht irgendwas, damit wir was haben, was wir wieder verkaufen können, sondern etwas, das für uns auf dem Weg wirklich Sinn macht.
Ist der gesellschaftliche Mehrwert ein zentraler Aspekt deiner Arbeit?
Ja, mittlerweile ist das extrem wichtig. Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hängt stark davon ab, ob sie gesellschaftlich akzeptiert werden. Zum Beispiel: Amazon wird von vielen nicht gemocht. Wenn es eine gute Alternative gäbe, würden viele wechseln, da Amazon weder sympathisch noch nachhaltig ist. Was die Marke hält, sind die vielen bequemen Vorteile. Marken müssen heute aber sehr vorsichtig sein. Menschen lassen ihre Lieblingsmarke im Regal stehen, wenn sie dem Unternehmen dahinter nicht mehr vertrauen.
„Mach dein Team möglichst divers. Da hast du zwar ständig Zirkus, aber das macht es am Ende echt aus.“
Sinnvolle Führung
Warum gelingt es nicht, eine nachhaltigere und gesellschaftlich wertvollere Alternative zu Amazon zu schaffen?
Viele trauen sich gar nicht mehr, den gleichen Weg wie Amazon einzuschlagen, weil sie denken: „Die sind so groß und erfolgreich, da habe ich keine Chance.“ In diesem Zusammenhang sei an Nokia erinnert. Die hätten nie geglaubt, dass sie die Weltherrschaft nochmal abgeben müssen. Dann hat es nur eine Disruption und nicht einmal ein halbes Jahr gedauert. Manchmal hängt alles von einer einzigen Entscheidung ab.
Wie nimmst du die Suche nach dem „Purpose“ aktuell wahr?
Ich muss sagen, dass ich angefangen habe, das Wort „Purpose“ völlig zu ignorieren. Einerseits hat er ja schon fast etwas Technisches, weil du nach dem Zweck fragst. Wenn wir nach dem Sinn fragen, also nach dem „Wofür“ erhalten wir ein viel kraftvolleres Konstrukt. Andererseits wurde der Purpose genauso missbraucht wie viele andere Begriffe. Ganz ehrlich: Purposewashing ist leider genauso verbreitet wie Greenwashing. Und dann kann es schnell gehen, weil es den Leuten auffällt und sie das Vertrauen verlieren. Dabei ist das Vertrauen in Kombination mit Konsistenz entscheidend. Gleichzeitig braucht es kreative Veränderung. Die für mich wichtigste Veränderung für Unternehmen ist ja auch durch die Neurowissenschaft bestätigt. Der Hintergrund ist, dass das Geben zu Dopaminausschüttung und Zufriedenheit von Individuen führt. Und die Idee, dass du als Organisation vom Nehmenden zum Gebenden wirst, ist ein Paradigmenwechsel, der für mich die Welt verändert.
Wie gelingt die Suche nach dem „Wofür“?
Man muss es wirklich wollen. Also so richtig. Das Management muss zunächst bereit sein, die Hosen runterzulassen und ehrlich zu reflektieren, auch wenn‘s weh tut. Daher gelingt es manchmal in 20, manchmal in 100 Tagen, und manchmal gar nicht. Man muss sich klar machen, dass es eine wertvolle Aufgabe ist, mit der Neues gepflanzt wird, das nachhaltig wachsen kann. Es geht darum, eine sinnstiftende Rolle für die Zukunft zu gestalten – für das Unternehmen, die Mitarbeitenden und die Gesellschaft. In der Entwicklungsphase haben wir daher einen Schwur: Alle Beteiligten müssen zustimmen, dass die Glaubenssätze für das Unternehmen wahr und verbindlich sind. Jeder Satz muss passen. Nur wenn das alle bejahen, verlassen wir den Raum.
Wie gelingt es, den Sinn eines Unternehmens so klar und authentisch zu definieren, dass er nicht nur ein Slogan bleibt, sondern wirklich im Alltag gelebt wird?
Mittlerweile haben wir eine ganze Reihe an Begrifflichkeiten rund um das Thema Marke im Einsatz. Wichtig ist die Differenzierung zwischen Sinn, Vision, Mission, Company Statement, Slogan und Claim. Die haben alle ihre Berechtigung. Wichtig ist nur, sich klarzumachen, dass das „Wofür“ ganz oben steht und sinnstiftend wirkt: Wofür stehen wir morgens auf, um zur Arbeit zu gehen? Das ist der Unterschied im Slogan oder einem Claim.
Und dann?
Der Prozess besteht aus Erkennen, Entdecken, Definieren, Manifestieren und Kommunizieren. Viele Unternehmen vernachlässigen dabei die grundlegende Arbeit an Kultur und Kommunikation, weil es Aufwand erzeugt, Geld kostet und zunächst keinen direkten Ertrag bringt. Aber es ist so wichtig. Ein Beispiel ist der Chef von StepStone, der bei Betriebsversammlungen feststellte, dass fast die Hälfte der Belegschaft neu ist. Dabei fragte er sich: Wie oft sprechen wir eigentlich über unsere Werte, unsere Kultur, unsere Vision? Die Antwort: viel zu selten. Gerade in dynamischen Unternehmen müssen diese Themen regelmäßig und kontinuierlich kommuniziert werden, nicht nur für die Neuen, sondern auch, um bestehende Mitarbeitende immer wieder mitzunehmen und damit die Kultur zu stärken.
Von To-Do-Listen zum Sinn.
Das Buch „Gott ist ein Kreativer, kein Controller“ ist eine unterhaltsame, erkenntnisreiche Reise durch die hoch gestapelte Irrwelt des Managements mit einem versöhnlichen Ende …
Sinn = Schaffen von Bedeutung.
Das Erzeugen von gesellschaftlichem Mehrwert sollte für Unternehmen schon heute eine immer zentralere Rolle einnehmen. Genauso wie die Frage, welche „echten“ Innovationen die Welt braucht.
Kann man Sinn messen?
Neurowissenschaftliche Studien haben inzwischen gezeigt, dass Menschen mit einem erfüllten Sinn ein um 35 Prozent geringeres Risiko für Herzinfarkte und Krebs haben. Das zeigt, wie stark der Sinn das Leben beeinflussen kann. Ich nenne es den "Zaubertrank von Viktor Frankl" – wenn wir diesen Ansatz nutzen, um Unternehmen und Organisationen zu verbessern, könnte das eine bedeutende gesellschaftliche Veränderung mit sich bringen. Ich persönlich bin davon überzeugt.
Hast du neben der Kommunikation von Sinn noch Tipps, wie Führung wirklich gelingt, ohne dass der Spaß und die Motivation verloren gehen?
Ich habe früher die Mitarbeitenden gebeten, ihre Rechner eingeschaltet zu lassen und bin nach Feierabend von Platz zu Platz gegangen, habe die Arbeit kontrolliert und selbst noch Kleinigkeiten angepasst. Heute denke ich: Was für ein Wahnsinn. Und wie kontraproduktiv war das. Das Wichtigste ist tatsächlich: Vereinbare mit den Mitarbeitenden Standards, geh aus dem Weg und lass die Leute selbst machen. Daneben ist die Vielfalt in den Teams essenziell. Oft arbeiten homogene Teams harmonischer, ja. Aber interdisziplinäre, diverse Teams sind langfristig erfolgreicher und innovativer. Homogene Teams sind aber einfacher zu führen. Wenn du nur „Mini-Me‘s“ einstellst, weißt du genau, was du von denen zu erwarten hast. Ich sage: Mach dein Team möglichst divers. Da hast du zwar ständig Zirkus, aber das macht es am Ende echt aus.
Dabei ist Resilienz sicher wichtig, oder?
Ich würde eher sagen: Haltung. Eine klare Haltung ist etwas, das die wenigsten Unternehmen haben. Dabei ist sie die Grundlage für Resilienz.
Welche Trends werden in den nächsten Jahren wichtig sein?
Das Marketing, das Design und auch die Marken werden erkennen, dass sie gerne etwas natürlicher werden dürfen. Authentischer. Aufgeräumter. Ehrlicher. Gleichzeitig denke ich, dass die Personenmarken wieder viel wichtiger werden als die Unternehmensmarken. Das erwarte ich als die wichtigste Veränderung in unserem Bereich.
Wie geht es dir mit dem Thema KI?
Ganz hervorragend. Ich kann das ganze Geschrei um KI überhaupt nicht verstehen. Dabei ist der Impact von KI wahrscheinlich 50 Mal größer, als es die meisten Leute im Moment wahrhaben wollen. Ich finde es auch in diesem Bereich spannend, wie schnell beispielsweise ChatGPT mit einer Disruption die großen Player überrascht hat. Es wird in jedem Fall ein paar ungewöhnliche Fragen zu klären geben, wie beispielsweise: Was ist ein Studium in fünf Jahren noch wert? Was eine Doktorarbeit? Wir werden den Dingen einen neuen Wert, einen neuen Sinn geben müssen. Dabei wird es wichtig sein, den Wert der kreativen, der schöpfenden Arbeit wieder hochzuziehen.
Glaubst du, dass die KI selbst ein Katalysator für das kreative, individuelle Schöpfen kann?
Ich glaube schon. Neuerungen wirken aus meiner Sicht eher befruchtend als zerstörend.
Fehlt nur noch dein Tipp zur Rettung der Welt.
Ich würde sagen, wir sollten die Reihenfolge der Prioritäten ändern. Wir sollten vom Profit und ständigem Wachstum in eine Welt wechseln, in der es zuerst um die Menschen geht, dann um den Planeten und dann um den Profit. Wenn wir das hinkriegen, mache ich mir keine Gedanken mehr um die Zukunft. Weil wir es dann endlich geschafft haben, unser Glücklichsein voranzustellen. Glück kann man nicht finden, genauso wenig, wie man Sinn finden kann. Man kann den Dingen aber einen Sinn geben oder man kann durch das glücklich werden, was man tut. Wenn wir unseren Erfolg daran bemessen, wie glücklich wir sind, ist die Rettung der Welt so gut wie gelungen.
Vom Purpose zum Sinn.
Für das nachhaltige Wachstum von Unternehmen ist das Aufbauen einer Kombination aus Vertrauen und Konsistenz besonders wichtig – wobei es immer gilt, den Spagat zu kreativer Veränderung nicht aus den Augen zu verlieren.

Für human unlimited beginnt unternehmerischer Erfolg mit der Erkenntnis, dass ohne Menschen kein Geschäft zu machen ist. Der eigene Sinn besteht darin, Unternehmen Sinn zu geben und ihnen dabei zu helfen, den Glauben an das tägliche Tun wieder zu finden und damit über sich hinauszuwachsen. Dabei beschreibt human unlimited sich selbst als die kreative Antwort auf Strategieberatungen und Excelcharts, als eine KI-Agentur der menschlichen Art.

Wirtschaft × Werbung × Weltenrettung

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