Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass jemand hier so ein Disneyland baut.
Mathias Klocker ist anders. Leidenschaftlicher Fotograf, Podcaster, Organisator und Kurator von namhaften Kulturfestivals und seit Beginn des Jahres Geschäftsführer von Bodensee Vorarlberg Tourismus & Convention Partner Vorarlberg, „Freischnauzetyp“ mit G’spür und Auge für das Schöne.
Gefühl für Reibung
Menschen zum Nachdenken anzuregen ist ihm ein Anliegen. Ob mit Diskussionen zum Thema „Liebe“ oder mit Musik im Kuhstall entscheidet dabei sein Bauchgefühl. Auch wenn das in manchem Bergdorf schon zu kontroversen Diskussionen am Kaffekränzchen geführt hat.
Mathias, du bist erst seit kurzem an Bord. Was ist das größte Learning der ersten Monate?
Dass ich ein Mensch bin, der sich in einem urbanen Raum wohlfühlt. Dass mir die Umgebung gut tut. Weil die Menschen gut sind, die da sind.
Man hat jedenfalls das Gefühl, du hast dich gut eingelebt.
Das Team macht es einem auch leicht. Das ist nicht immer so. Als Führungskraft hast du ja oft deine Vorstellungen. Und dann kommt die Realität. Wir haben ein sehr demokratisches System, in dem ich Entscheidungen nie alleine treffe. Und das tut gut.
Ein demokratisches System ist im Business-Umfeld ja nicht jedermanns Sache.
Ich verstehe Leute nicht, die behaupten, dass Demokratie in der Geschäftswelt nicht funktioniert. Die Mitarbeiter:innen müssen ja die Entscheidungen mittragen. Wie im Fußball. Wenn das Team nicht dahinter steht, wird's schwierig, weil die müssen es am Platz ja umsetzen. Wenn's da hakt, kannst du eigentlich nur noch den Trainer austauschen.
Ist das leichter mit einem Team, das nur aus Frauen besteht?
Das ist keine Frage des Geschlechts, sondern Typsache. Ob Frau oder Mann ist mir jedenfalls sowas von egal. Man könnte ja auch die Altersfrage stellen. Ich glaube, dass das für mein Team auch kein Thema ist, dass ich der Jüngste bin. Ich weiß nur, dass ich ein Team, das nur aus Frauen besteht, jederzeit einem vorziehen würde, das nur aus Männern besteht.
Gefühlsmensch
Keinen „großen Plan“ zu haben gehört für Mathias Klocker zum Leben dazu. Genauso wie „einfach machen“. Sein Weg gibt ihm Recht, hat er sich doch schon den ein oder anderen beruflichen Traum erfüllt.
„Das führt dazu, dass ich Dinge auch oft falsch mache. Aber prozentuell gesehen öfter richtig.“
Gefühlvolles Projekt
In seinem Podcast „LiLe“ sprach er in seiner Funktion als Geschäftsführer bei Damüls Faschina Tourismus mit spannenden Menschen aus Sport, Politik, Kultur und Journalismus über das Leben und Lieben und warum beides zusammen manchmal nicht funktioniert.
Du schreibst auf deiner Webseite: „Mathias Klocker ist anders“. Was genau ist denn so anders?
Ein klassischer Tourismusdirektor oder Geschäftsführer einer Tourismusregion ist in der Regel grundsätzlich älter als ich und sieht das Thema Tourismus auch aus einer anderen Perspektive. Ich bin da irgendwie hineingerutscht und das ist das, was es anders macht. Wenn du kein Touristiker bist, sondern einfach Mensch, der in der Region lebt, nimmst du sie ganz anders wahr. Ich hatte nie einen langfristigen Plan für meine berufliche Zukunft. Ich mache einfach. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mal als Geschäftsführer im Fußball lande. Oder im Journalismus. Das hat sich einfach ergeben.
Wie ist es zu deinem Podcast „Lieben & Leben“ gekommen?
Ich war damals Geschäftsführer von Damüls Faschina Tourismus und bin abends mit einer guten Freundin zusammengesessen. Wir haben uns bei ein, zwei Bierchen über einige Themen unterhalten und festgestellt, dass viel zu wenig über Liebe gesprochen wird. Gerade wir Männer sind da ja absolute Pfeifen. Wer von uns redet denn schon über Gefühle? Ich tu es ja auch nicht. Ich finde es ja auch interessant, dass es in Vorarlberg ja für alles ein Dialektwort gibt. Nur nicht für „Liebe“. Das auch noch in einem eher traditionellen Walserdorf zum Thema zu machen, hat dann noch wie die Faust aufs Auge gepasst.
Fußball, Fotografie, Podcasting. Wie beeinflussen all diese Dinge dein tägliches Brot?
Intensiv. Das Thema Fußball ist etwas, was mich schon von klein auf immer bewegt hat. Es war das, was mich mit meinem Opa sehr verbunden hat. Und mich mit vielen Leuten bekannt gemacht hat. Heute liebe ich es, Fußballreisen zu machen. Die führen mich an Orte und in Fußball-Ligen, die man sonst nicht sehen würde. Die Eindrücke und Erfahrungen sind sehr inspirierend, vor allem im Bezug auf Menschen. Aber auch was Mobilität und Nachhaltigkeit angeht. Da sind uns einige Regionen in Europa wirklich weit voraus. Daneben ist für die Fotografie das Schöne ganz wichtig. Es ist mir wichtig, dass Inhalte überzeugen und visuell ansprechend sind. Weil: Tourismus ist Optik. Es macht Sinn, dass ich jetzt in einem Beruf arbeite, der sich stark damit befasst, wie wir Dinge sehen.
„Ich verstehe Leute nicht, die behaupten, dass Demokratie in der Geschäftswelt nicht funktioniert.“
Führung als gemeinschaftliches Konzept
Du hast auch spannende Events veranstaltet. Wie findest du das richtige Format?
Mein Ziel ist es, Bestehendes und Neues zu verbinden, Menschen für neue Themen zu inspirieren und zum Nachdenken anzuregen. Dafür sind Veranstaltungen wichtig, die bewegen, schön und relevant sind. In Damüls wollte ich beispielsweise nicht das 100ste Blasmusikkonzert am gleichen Standort. Also haben wir einen alten Kuhstall renoviert und eine ganz andere Art von Musik gespielt. Und wir haben andere Events veranstaltet, die am Kaffeekränzchen – sagen wir mal kontrovers – diskutiert worden sind (lacht).
Bist du auf deinem Weg nach Bregenz auch schon mal „falsch abgebogen“?
Dauerhaft, klar. Ich glaube, ich biege ziemlich oft falsch ab. Ich mache viele Fehler, jeden Tag. Wahrscheinlich mehr als andere. Ich entscheide oft aus dem Gefühl heraus. Ich bin jemand, der aus dem Herzen spricht, der sich nicht „verkopft“, einfach redet, macht, tut. Das macht es nicht immer einfach mit mir. Das führt dazu, dass ich Dinge auch oft falsch mache. Aber prozentuell gesehen öfter richtig.
Es war also keine Kopf-Entscheidung, nach Bregenz zu kommen?
Nein, auch da bin ich dem Bauchgefühl gefolgt. Es war nie mein Plan, hierher zu kommen. Ich muss zugeben, dass ich mir auch nicht von Anfang an vollständig sicher war, das Richtige zu tun. Jetzt würde ich sagen: Ein guter Zufall. Ich entdecke jeden Tag mehr, warum es richtig ist, hier zu sein.
Also mit Bauchgefühl das Potenzial erkannt.
Ich betrachte uns eben nicht nur als Tourismusdestination, in der es ums Vermitteln von Betten geht. Vielmehr sind wir ein Lebensraum. Wahrscheinlich der lebenswerteste Lebensraum der Welt. Schaut euch um, wir haben alles an Natur, was man sich vorstellen kann, bieten eine Vielzahl an Aktivitäten, Erlebnissen und kulturellen Angeboten. Bei uns stehen täglich zwischen 8 und 15 Veranstaltungen zur Auswahl. Wir müssen kein Angebot schaffen. Nur nach außen tragen, was wir Tolles haben.
Leben im Hier und Jetzt
Zuhören, Zuschauen, Erkennen. Die Inspiration für die Themen, die bewegen, findet Mathias Klocker auf der Straße, im Café und am See. Dass das auch sensibel für das Negative macht, gehört dabei dazu.
Im Verschmelzen von Stadt und Land
sieht er gerade in einer Region, das sich von anderen durch „urbane Räume mit viel Platz“ unterscheiden als großes Potenzial für einen regen Austausch.
Wie beeinflusst die Umgebung deine kreative Vision und wie integrierst du lokale Traditionen und Moderne in deine Projekte?
Man sagt ja immer „enges Tal, enge Gedanken“. Hier bei uns erlebe ich im Gegensatz dazu jeden Tag, wie sich vieles öffnet. Früher lag mein Fokus stark auf der Natur, bedingt durch die Gegebenheiten. Da habe ich drüber nachgedacht, wie ich Kunst und Kultur in die Natur integrieren kann. Jetzt geht es darum, den Leuten zu vermitteln, dass unsere Destination neben dem großartigen Kunst- und Kulturangebot auch eine großartige Natur zu bieten hat.
Schnell gefragt: Metropolregion oder Mikro-Community? Vielfalt oder Spezialisierung?
Für uns ist das glücklicherweise keine Entweder-oder-Frage. Unsere Region ist eine einzigartige Mischung aus beidem. Hier verschmelzen städtische und ländliche Elemente. Ein urbaner Raum mit viel Platz. Vom eher ländlich geprägten Rheindelta bis zu den Städten Feldkirch, Dornbirn und Bregenz, sowie den Gemeinden Lustenau, Hohenems und dem Ried – überall findet man großzügige Freiflächen und natürliche Umgebungen. Dieses Merkmal unterscheidet unsere Region klar von anderen. Unsere Region hat zahlreiche Stärken. Hier liegt das Potenzial für einen regen Austausch.
Wie reagiert ihr mit eurer Marke darauf und welche Ziele verfolgt ihr damit?
Ich denke, es gibt eine Menge Veränderungsbedarf und -potenzial. Die Marke Bodensee Vorarlberg ist meiner Meinung nach nicht optimal positioniert. Der Grund: Ich möchte für alle, die ihre Freizeit im Rheintal verbringen wollen, der Ansprechpartner sein, nicht nur für Touristen. Ich möchte zeigen, was unsere Region alles zu bieten hat. Mir geht es aber auch darum, die Menschen besser zu vernetzen und ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Darüber hinaus ist es mir ein Anliegen, die Destination nachhaltiger zu gestalten. Dafür gibt es viele Projekte, die ich gerne anschieben möchte.
Lass uns über die Trends sprechen, die euch beschäftigen.
Ich glaube, der Trend geht in Richtung eines gemeinsamen Lebensraums, der für uns alle zugänglich ist. Das Angebot, das wir schaffen, ist für jeden gedacht. Unser Lebensraum sollte für alle offen sein und das müssen wir auch entsprechend kommunizieren. Es spielt keine Rolle, ob jemand aus Deutschland, Vorarlberg, der Schweiz, England oder Kamerun kommt. Jeder soll die Möglichkeit haben, diesen Raum zu nutzen, und das auf authentische Weise. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass jemand hier so ein Disneyland baut. Mein Ziel ist es nicht, ein typisches Touristenprogramm zu bieten, sondern unseren Gästen zu zeigen, wie der Alltag in unserer wunderbaren Region aussieht. Das ist spannend.
Was ist mit Sustainable Travelling?
Da ist mir das Thema Mobilität ein großes Anliegen. Ich sehe auf meinen Fußballreisen, dass kostenlose Mobilität im Nahverkehr möglich und sinnvoll ist. Das möchte ich auch unseren Gästen zugänglich machen. Es ist alles da: Wir haben Top-Verbindungen im Land und verfügen über eine ausgezeichnete Anbindung an die Fernstrecken in Europa. Hier fehlt es meist nur an der Einstellung. Viele sehen eine Zugfahrt als „Anreise“. Mein Urlaub beginnt, sobald ich in den Zug einsteige. Und ich persönlich reise nur mit dem Zug. Neben der Mobilität müssen wir erkennen, dass Nachhaltigkeit ganz klar ein Wirtschaftsfaktor geworden ist. Nur logisch, dass wir daher die Zertifizierung als nachhaltige Destination mit dem österreichischen Umweltzeichen anstreben und beispielsweise darauf achten, unsere Veranstaltungen mit den Richtlinien von Green Events durchzuführen. Dafür haben wir bei uns eine eigene Nachhaltigkeitsmanagerin, die sich um diese Themen kümmert.
Ist Künstliche Intelligenz (KI) ein Thema bei Bodensee Vorarlberg Tourismus?
Großes Thema. Vor allem, weil es entscheidend ist, welche Daten den Gästen ausgespielt werden. Jede:r Dritte nutzt beispielsweise im Urlaubsprozess mittlerweile KI für Inspiration oder Planung. Weltweit. Das ist schon eine beeindruckende Zahl, die verdeutlicht, wie wichtig es ist, die verfügbaren Daten zu pflegen und optimal zu nutzen. Intern beschäftigen wir uns intensiv mit Daten und KI, sowohl um das Gästeerlebnis zu verbessern, als auch um interne Prozesse zu optimieren.
Wie erreicht ihr eure Zielgruppen?
Es passiert gerade vieles. Vor allem bei unseren Zielgruppen ist einiges im Gange. Auch wir müssen uns mit neuen Plattformen wie TikTok beschäftigen, da sie eine wichtige Zielgruppe ansprechen. Pinterest gewinnt an Bedeutung, insbesondere im Bereich Inspiration. Wir sind aktiv dabei, unsere Strategien anzupassen, zum Beispiel im Social-Media-Bereich. Wir nehmen uns Zeit. Machen ein paar Schritte zurück, um uns zu fragen, wer wir sind und für wen wir das tun. Da kommt es auf das Team an. Und wir haben ein großartiges. Es macht Spaß, gemeinsam Projekte umzusetzen.
Neben deiner Tätigkeit als Geschäftsführer hast du ja noch einige Side-Projects. Wie organisierst du dich?
Wie gesagt, ich bin kein Typ, der Pläne macht. Aber ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass ein klarer Kalender für mich unerlässlich ist. Bei mir gibt es selten Leerzeiten im Kalender. Was ich mir immer nehme, ist die erste Stunde am Morgen, um mit meinem Team zu reden. Meine Side-Projects, wie die perspectivals und Creative Alps sind derzeit etwas in den Hintergrund gerückt. Aber ich würde gerne irgendwann wieder einen Podcast machen. Das hat Spaß gemacht. Außerdem ist es wichtig, über seine Gefühle und Themen offen zu reden.
Woher nimmst du die Inspiration für neue Ideen?
Das sind Gespräche und Momente. Es ist viel schauen, viel lesen und vor allem viel zuhören. Man ist dann natürlich auch sensibel für das Negative, das gerade passiert. Das beschäftigt mich dann auch intensiv.
Zum Beispiel?
Das Schnelllebige und das Bedürfnis, Veränderungen von einem Moment auf den anderen zu machen. Den Wunsch – oder den Druck – zu haben, wie andere zu sein. Das stellt große Herausforderungen dar. Als Region versuchen wir, im Wettbewerb zu bestehen und mitzuhalten, was zu häufigen Veränderungswünschen führt. Dies birgt die Gefahr, dass wir als Unternehmen versuchen, uns anzupassen, anstatt unsere eigenen Stärken auszuarbeiten. Dies ist nicht nur ein Problem im Tourismus, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Wir sollten generell aufhören, wie jemand anders in der Welt sein zu wollen und öfter mal sagen: „Okay, wir sind genug.“
Dein Tipp zur Rettung der Welt?
Viel mehr zuhören. Vor allem: aktiv zuhören. Und sich eine Meinung bilden, aber auch nicht den Zwang verspüren, sein Statement bei jeder Gelegenheit loswerden zu müssen.
Erlebens-Gefühl
Authentisches Erleben des Alltags der Menschen ist für Mathias das Spannende, wenn es ums Reisen und Erleben eines Ortes geht.
Kulturell anregend, landschaftlich bezaubernd. Die Region Bodensee-Vorarlberg versteht sich als pulsierende Ruheinsel. Zentren des Geschehens sind die Städte Bregenz, Dornbirn, Hohenems und Feldkirch.